Hoffenheim-Heimspiel

Die Protestaktion zu Beginn der zweiten Halbzeit beim vergangenen Heimspiel gegen Hoffenheim hat für viel Aufregung gesorgt. Wir wollen daher im Folgenden die Hinter- und Beweggründe der Aktion erklären sowie unsere Meinung zur dadurch entstandenen Debatte abgeben.

Der Hintergrund
Seit Hoffenheims rasantem Aufstieg von den Niederungen des Fußballs in den Profisport wird das Projekt von vielen Fans abgelehnt. Diese kritische Einstellung ist, auch von uns, an anderer Stelle zur Genüge begründet worden. Sie richtet sich dabei auch und im Besonderen gegen Dietmar Hopp, der als Mäzen ein Symbol für das darstellt, was man am Modell Hoffenheim falsch findet. Ob von uns Gladbachern oder anderen Fanszenen: Protest gegen das Projekt Hoffenheim drückte sich schon immer auch im Protest gegen Dietmar Hopp aus.
Anlass der jetzigen Aktion war insbesondere die am Donnerstag vor dem Spiel durch den DFB ausgesprochene Strafe gegen die Fanszene aus Dortmund. Der Verband setzte damit die vor 2 ½ Jahren abgeschafften Kollektivstrafen wieder ein, brach dadurch ausdrücklich sein Wort und setzte einen neuen Maßstab in der Sanktionierung von Fanprotesten. Die Strafe begründete sich maßgeblich auf die Grafik, die Dietmar Hopp im Fadenkreuz darstellt. Diese zeigten die BVB-Fans erstmals vor vielen Jahren als Doppelhalter, vergangene Saison dann erneut als Blockfahne, was dann wiederum zur besagten Strafe führte.
Die Wiedereinsetzung der Kollektivstrafen sowie die Sanktionierung von Fanprotesten sind ein Dammbruch, den man in unseren Augen nicht unbeantwortet lassen darf. Um eine klare Anspielung auf den Fall Dortmund herzustellen, haben wir deshalb die gleiche Abbildung gezeigt, die für die Kollektivstrafe sorgte.
Lediglich ein paar kurze Worte wollen wir beim Thema ,,Hintergrund‘‘ auch dazu verlieren, weshalb die Aktion vermummt gezeigt worden ist. Dies hätten wir noch vor ein paar wenigen Jahren nicht getan, sehen uns wegen einer zunehmenden Kriminalisierung von Äußerungen in der Kurve jedoch bei gewissen Inhalten dazu gezwungen. Aktionen, die früher am Bökelberg und auch noch vor einigen Jahren im Borussia-Park nie ein Thema waren, führen mittlerweile zu Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften oder Strafen des DFB. Die Ermittlungen enden, wie im kürzlichen Fall unseres Leipzig-Spruchbands, oft mit Einstellungen, Sanktionen des DFB sind rechtsstaatlich ohnehin fragwürdig – um uns vor diesen Entwicklungen zu schützen, greifen wir jedoch auf Vermummung zurück.

Das Fadenkreuz
In der Vergangenheit haben wir sowohl den Verein Hoffenheim, als auch Dietmar Hopp als Mäzen, Stellvertreter und Symbol des Kommerzprojekts Hoffenheim im Form von Protesten attackiert. Mal sachlich anhand der Eigentumsverhältnisse, mal plump beleidigend als Hurensohn, mal karikaturistisch als Baby – unser Protest richtete sich in verschiedenen Formen, aber oft gegen Dietmar Hopp als Symbol des gesamten Konstrukts.
Das Fadenkreuz haben wir in allererster Linie wegen der Anspielung auf den o.g. Dortmunder Fall gewählt. Wir sehen darin jedoch auch nicht ansatzweise das, was daraus gemacht worden ist. Für uns ist es lediglich eine Symbolik der Ablehnung – vergleichbar mit einer Verbotsschild-Symbolik oder Ähnlichem. Für uns stellt es keinen Unterschied dar, ob das Hoffenheimer Wappen oder Hopps Konterfei als Symbol für das kommerzielle Konstrukt im Fadenkreuz dargestellt ist. Einen tatsächlichen Aufruf zur Gewalt, gar Mordaufruf oder diskriminierenden Inhalt verbinden wir damit definitiv nicht.

Die Tragweite
Während wir inhaltlich hinter der Grafik stehen, insbesondere wegen des Kontexts zum Fall Dortmund, haben wir die Tragweite eines anderen Kontexts definitiv unterschätzt, bzw. schlicht gar nicht bedacht. Einen Zusammenhang zum rechtsterroristischen Anschlag in Hanau herzustellen kam uns vor dem Spiel nicht ansatzweise in den Sinn, auch im Nachgang finden wir diesen Gedankengang schlicht falsch.
Wir glauben selber kaum, dass wir das klarstellen müssen, aber: Es handelt sich bei der gezeigten Grafik ausdrücklich nicht um eine Anspielung auf eine Gewalttat, geschweige denn auf den einige Tage zuvor erfolgten Anschlag in Hanau. Unsere Vorsänger haben vor der Schweigeminute mit Nachdruck auf die Einhaltung der Schweigeminute, die im Borussia-Park zuletzt nicht selbstverständlich war, eingewirkt, damit sich Borussias Fanszene in angemessener Weise am Gedenken für die ermordeten Opfer beteiligt. Nicht im Ansatz haben wir mit dem Protest in der zweiten Halbzeit in irgendeiner Weise eine Verbindung zu dieser feigen Tat herstellen wollen.
Eingestehen müssen wir uns daher an dieser Stelle, dass wir im Vorfeld über die Hintergründe der Aktion hätten informieren müssen, ähnlich wie wir dies auch bei anderen Protestaktionen (etwa der bundesweiten Fanszenen Deutschlands) der vergangenen Jahre getan haben, damit dieses Missverständnis überhaupt gar nicht erst aufkommt. Damit geht einher, dass wir auch den Vorwurf, dass man aufgrund der zeitlichen Nähe mehr Fingerspitzengefühl hätte zeigen müssen, nachvollziehen können.

Die Reaktionen
Klar ist uns, dass derlei Symbolik nicht jedermanns Geschmack trifft. Niveaulos, unangebracht, geschmacklos, was auch immer – über Hopps Konterfei im Fadenkreuz kann man sicher genauso geteilter Meinung sein wie über Hurensohn-Gesänge und zig andere Protestformen. Kritik daran ist absolut in Ordnung, wir unterschreiben kritische Äußerungen aus diesem Grund auch nicht umsonst mit ,,Sottocultura‘‘ statt ,,Nordkurve‘‘ oder ,,Borussia-Fans‘‘, um keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Stellvertretertum zu erheben.
Was den Bogen jedoch absolut überspannt, sind diverse Äußerungen von Borussen, Vereinsangestellten und Journalisten der vergangenen Tage. Bereits die Äußerungen des Sicherheitssprechers, der das Banner in einen Zusammenhang mit Rassismus und dem rechten Terror von Hanau stellte, irritierten uns massiv. Trotz einigem zeitlichen Abstand schlugen weitere Akteure in die gleiche Kerbe. Wir halten das für grob falsch und eine Verharmlosung der Ereignisse in Hanau. Hier werden Opfer eines Mordanschlags instrumentalisiert um ein als falsch empfundenes Fanbanner zu thematisieren.
In einem Kommentar wurde die Aktion als einer der ,,beschämendsten, heuchlerischsten und, sagen wir wie es ist, widerlichsten Augenblicke in der Geschichte der Bundesliga‘‘ bezeichnet. Geht es nicht noch etwas dramatischer? Als seien nicht wenige Wochen zuvor tatsächlich rassistische Vorfälle in Deutschland geschehen, als hätte es nicht schon wirklich Todesopfer im Fußball gegeben, und und und. Wir wiederholen uns gerne, dass Kritik an der Symbolik nachvollziehbar und gerechtfertigt sein kann, diese nicht von jedem geteilt werden muss – müssen aber in Anbetracht dieser Worte festhalten, dass wir einen großen Teil der Reaktionen nicht als ernsthafte Kritik, sondern schlicht hysterisch bis fahrlässig sehen.
Unverständnis löst dazu die Vorgehensweise des Schiedsrichters aus, der das Spiel aufgrund der Situation unterbrach und drohte abzubrechen – was wiederum maßgeblich zu den erhitzten Reaktionen vieler Zuschauer führte. Die offensichtliche Anwendung des von der FIFA entwickelten 3-Stufen-Plans zur Reaktion auf rassistische Vorfälle in unserem Fall zeigt klar die komplett verrutschten Maßstäbe des Verbandes. Wenn jede kritisch gesehen Fanaktion in den Kurven nun zu einer Unterbrechung oder gar zum Abbruch führt, wird den Fankurven dieses Landes jeder Handlungsspielraum genommen. Sollte diese Praxis sich etablieren, sind wir nicht mehr weit von einer Situation entfernt, in der Sanktionen und Unterbrechungen wegen üblicher Anti-Gesänge gegen den Gegner der Fall sein werden – man denke an das übliche ,,Tod und Hass dem FC Köln‘‘. Hier gilt es den Anfängen, die es aber bereits nicht mehr sind, zu wehren!

Und weiter?
Eine Einschränkung in der besagten Einschätzung müssen wir insofern vornehmen, als dass abseits der hysterischen Berichterstattung und Forderungen viele, viele Borussen und Menschen ihre kritische Meinung uns gegenüber geäußert haben, die wir definitiv nachvollziehen können. Ausgewogene Berichterstattung gab es sowohl in (Gladbacher sowie fremden) Fanmedien, als auch von (leider nur außerhalb Gladbachs) etablierten Redaktionen. Darüber hinaus gibt es zahllose Fans, die im direkten Gespräch mit uns über die Hintergründe gesprochen haben, darüber Verständnis entwickelt oder trotzdem ihr Unverständnis über den zeitlichen Rahmen oder die Symbolik an sich zum Ausdruck brachten – alles okay und in unserem Sinne.
In vielen Nachrichten und Gesprächen, die uns erreicht haben und mit uns geführt worden sind, wurde Bezug auf die Aktion ,,Gemeinsam für Borussia‘‘ genommen. Als Initiator dieser Aktion stehen wir ganz selbstverständlich weiter hinter dem dort propagierten Gedanken, trotz und vielleicht auch gerade weil man in einer so großen, heterogenen Fanszene mal geteilter Meinung über eine Protestform ist. Sowohl beim kommenden Spiel in Augsburg, als auch beim Heimspiel gegen Dortmund (und grundsätzlich sowieso immer) stehen wir für Gespräche im Sinne dieses Gedankens zur Verfügung.

Sottocultura